Dzien dobry und guten Morgen aus Krakau!

Das IRM network bezieht mit diesem Beitrag keinerlei politische Stellung, sondern gibt nur den subjektiven Bericht einer IRM-Studentin wieder.


Trotz Corona habe ich Ende September meine Sachen gepackt und mich für dieses Semester auf den Weg nach Krakau gemacht, genauer gesagt an die Jagiellonian University, Polens älteste Universität.

Bei meiner Ankunft im September hatte ich in Krakau noch ein bisschen das Gefühl, als wäre ich um mindestens ein Jahr in der Zeit zurückgereist – Corona schien hier nicht zu existieren: Volle Bars, geöffnete Clubs, eine Vielzahl an Erasmus-Studierenden und sogar die Aussicht auf viele Präsenzveranstaltungen in der Uni. Da es dazu auch noch wunderschönen Sonnenschein in den ersten beiden Oktoberwochen gab, fiel der Start ins Auslandssemester genau so aus, wie man es sich vor Corona vorgestellt haben könnte.

Da aber weder Erasmus-Studierende, noch die polnische Bevölkerung immun gegen das Virus sind, (wobei man in der Erasmus-Blase langsam echt schon von Herdenimmunität sprechen könnte, da wirklich extrem viele Studierende in den ersten paar Wochen an Corona erkrankt sind), änderte sich das Bild schnell, als die Infektionszahlen wieder stiegen. Präsenzveranstaltungen wurden extrem kurzfristig abgesagt und nachdem zunächst nur Bars und Restaurants schließen mussten, sind jetzt auch Museen und Einkaufszentren dran und private Treffen sind ebenfalls untersagt. Der Lockdown macht halt eben auch keine Ausnahmen für privilegierte Erasmus-Studis.

Da Krakau aber nicht nur eine wirklich beeindruckende und vielfältige Caféhaus- und Barkultur hat, sondern auch von Bergen und Nationalparks umgeben ist, wird es jetzt keinesfalls langweilig: bevor der Winter so richtig einsetzt, lässt sich jetzt nochmal die Natur und Landschaft Polens erkunden (auch wenn 6 Stunden wandern bei 5 Grad Außentemperatur echt ungemütlich werden kann, wenn die Einkehr für warmen Tee oder Glühwein Corona-bedingt ausfallen muss). Und falls man doch mal keine Lust hat, aus der Stadt rauszufahren, bieten Krakaus Altstadt und das ehemalige jüdische Viertel Kazimierz ebenfalls schöne Anlaufpunkte für einen Spaziergang.

Ein weiterer Punkt, der den Lockdown hier aushaltbar macht, sind die Kurse und Angebote der Jagiellonian University selbst: Wer aus Regensburg keine große Kursauswahl gewohnt ist, kann sich hier auf eine riesige Auswahl an Kursen über Politik, Gesellschaft und Kultur freuen, die in den allermeisten Fällen von engagierten, technik-affinen Dozent:innen unterrichtet werden. Abgerundet wird das ganze von einem sehr aktiven Erasmus Student network, welches die Studierenden während dem Lockdown mit zahlreichen Online-Events versorgt, um doch noch ein bisschen was von der polnischen Kultur zu vermitteln.

Last but not least, möchte ich noch kurz auf die aktuelle Lage in Polen eingehen. Wie ihr sicher bereits mitbekommen habt, hat die extrem-konservative und erzkatholische Regierung Ende Oktober weite Teile des bestehenden, ohnehin schon sehr strengen Abtreibungsgesetzes für verfassungswidrig erklärt. Diese Erklärung macht legale Abtreibung in Polen faktisch unmöglich und verschärft die ohnehin schon kritische Lage für Frauen- und LGBTQIA*-Rechte dramatisch. Das dieser Schritt gerade jetzt kommt, ist kein Zufall: Einerseits hofft die Regierung, in den zahlreichen Demos, die auf den Beschluss folgten (und folgen!) einen Sündenbock für die steigenden Infektionszahlen zu finden, andererseits wollen sie mit dem medialen Wirbel, der dem Beschluss und den Demos folgte, von ihrem Versagen in der Pandemie-Bekämpfung ablenken.

Trotz der immer schwerer werden Umstände, geben sich die Pol:innen (und ihre internationalen Unterstützer:innen) nicht geschlagen und gehen seit 2 Wochen täglich auf die Straße, um gegen den Beschluss an sich und die frauenfeindliche und homophobe Politik der PiS-geführten Regierung zu protestieren – trotz zunehmender Gewalt gegen Demonstrant:innen von Seiten rechter Gruppierungen und der PiS-Partei selbst. Falls euch diese Menschenrechtsverletzungen, die ins unserem direkten Nachbarland passieren, nicht egal sind, kann ich für weitere Infos wärmstens den Instagram-account @cielesne empfehlen (Infos auf Englisch über das politische Geschehen und was jede:r auch von Deutschland aus tun kann).

In diesem Sinne, ***** *** und viele Grüße aus Krakau!


von Munja Stockinger, IRM5, November 2020

Panorma des Rynek Glówny (Hauptmarkt) von Krakau, der größte Marktplatz Europas
Die Marienkirche auf dem Hauptmarkt – sie ist älter als der Platz selbst
Ein Eindruck aus Krakaus Altstadt
Nationalpark Ojców – 16km von Krakau enfternt
Drohnenaufnahme einer der größen Demos gegen das neue Abtriebungsverbot und die Regierung vor dem Nationalmuseum
Studierendenproteste im Uni-Viertel

Empfohlene Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert