Liebe IRMis,
ich schicke Euch Auslandsgrüße aus dem sonnigen Kolumbien.
Bei 25 Grad sitze ich am Balkon und atme die frische Stadtluft, die nach Wochen der Ausgangssperre den Smog verdrängt hat. Seit einiger Zeit kann man in Medellín wieder Sterne am Himmel sehen, die Stadt liegt still und verschlafen zwischen Bergen. Ein ganz anderes Bild als das, dass ich zu Beginn kennenlernen durfte. Vor einigen Monaten war die Stadt geprägt von lautem und unübersichtlichem Verkehr, Musik an jeder Ecke und viel Tumult.
Ich habe mein Auslandssemester an unserer Partneruniversität hier verbracht und bin schon seit Mitte Januar im Land. Seit über 50 Tagen befinden wir uns in Quarantäne – mit strikten Regeln und wenigen Möglichkeiten, auch nur zum Einkaufen das Haus zu verlassen. Mein Semester habe ich online abgeschlossen, aber trotz der Möglichkeit von Deutschland aus zu studieren habe ich mich dafür entschieden, in Kolumbien zu bleiben. Im Moment gibt es kaum Möglichkeiten einer Heimreise, da keine internationalen Flüge angeboten werden. Deswegen plane ich auch mein Praxissemester hier zu verbringen und bin aktuell auf der Suche nach Praktikumsstellen.
Um die Einhaltung der Ausgangssperre sicherzustellen dürfen alle Bewohner je nach Ausweisnummer nur ein bis zweimal die Woche zum Einkaufen das Haus verlassen. Pro Tag ist es erlaubt, eine Stunde lang draußen Sport machen und so nutze ich jede Chance, mit dem Rad neue Straßen und Ecken kennenzulernen. Medellín ist wie ein Schachbrett – verschiedenste Viertel reihen sich aneinander, die unterschiedlicher nicht sein können. In den Bildern zeige ich Euch ein paar Eindrücke.
Am liebsten erkunde ich die ärmeren Gebiete, die eine ganz andere Realität zeigen als die touristischen Party-Viertel. Die sozioökonomischen Unterschiede zwischen den Bevölkerungsschichten sind groß – während die Reichen in den Hochhäusern im Süden der Stadt das Leben genießen, verdient ein Großteil der Gesellschaft einen Mindestlohn von umgerechnet etwa 210€, der kaum für den Unterhalt einer Familie reicht. Durch die angespannte wirtschaftliche Lage sind viele auf den Straßen und betteln oder verkaufen Früchte. Gerade für die venezolanischen Flüchtlinge ist die Situation schwierig. Auf diesem Bild seht ihr Obstverkäufer, die ihre Karren jeden Tag mit Lautsprechern durch die Straßen schieben.
Zugegebenermaßen fällt mir manchmal nach so vielen Tagen der Ausgangssperre wie den meisten von uns die Decke auf den Kopf. Aber dank meiner Mitbewohner wird die Zeit zu Hause erträglich. Wir essen abends zusammen, backen oft und finden auch sonst viele kreative Wege, uns die Quarantäne zu versüßen. Dank strikter Maßnahmen wird Medellín bald Lockerungen einführen und ich freue mich, mehr Zeit zu haben, um die Stadt zu erkunden.
Zum Schluss noch ein paar Fotos von einigen der schönsten Erfahrungen und spannendsten Orte, die ich in Kolumbien vor der Quarantäne kennenlernen durfte:
Eure Lucy