Seit gut zwei Monaten lebe und arbeite ich in Chengdu, einer 16-Millionen-Einwohner Stadt, von der kaum jemand weiß. Laut „Lonely Planet“ soll es die entspannteste Stadt Chinas sein. Nach zwei Monaten in der Hauptstadt der Provinz Sichuan kann ich nur bestätigen, dass es sich hier aushalten lässt. Seit Anfang September absolviere ich mein Praktikum am Generalkonsulat. In der recht kleinen Vertretung gibt es immer was zu tun und ich habe die Möglichkeit in fast alle Fachbereiche hinein zu schnuppern. Von meinem Büro im 25. Stock aus habe ich einen fantastischen Ausblick. Allerdings nur dann, wenn die Luftqualität mal auf einen Index von unter 50 fällt, also fast nie. Meist zeigt das Luftreinigungsgerät Werte von ca. 150 an, ab einem Luftindex von 50 gilt Luft als ungesund (Im Vergleich: Stuttgart hat Werte von ca. 40). Wenn ich da aus dem Fenster blicke, fühle ich mich oft an Regensburg erinnert. Von „Nebelsburg“ nach „Greydu“ habe ich da keinen großen Fortschritt gemacht.
Abgesehen von der schlechten Luft gefällt mir die Stadt aber sehr gut, die sich trotz ihres Großstadtflairs und den vielen internationalen Einflüssen viel Kultur und Tradition erhalten hat. Ob es die täglich stattfindenden Face-Changing-Opera Aufführungen sind, die Herren, die am Straßenrand mit Klappstuhl und Thermoskanne ausgerüstet Mahjong spielen, oder die Tanzgruppen im Park. Neben alten Traditionen findet man auch viel Modernes: Kunstausstellungen jeder Art (nicht selten mit deutschen Kooperationspartnern), Kneipenviertel, wo jeden Abend Live-Musik gespielt wird, Expats, die sich unter der Woche zu Quiz-Duellen treffen und am Wochenende die Club-Szene der Stadt erkunden. Nicht selten verstecken sich die besten Etablissements in gewöhnlichen Wohnblöcken. Ähnlich verhält es sich mit einer Vielzahl von Cafés, die mal getarnt als Buchladen, mal versteckt hinter viel Grün, einen angenehmen Ausgleich zum Großstadttrubel bieten.
In Chengdu findet wirklich jeder was er sucht: Yogakurse, Filmfestivals, Fotografie-Kurse, Wanderausflüge, Volunteering für einen Bazar, und und und. Wer genug hat von all’ dem Trubel, der setzt sich einfach in den Zug und fährt in die umliegenden Berge, wo man die Nacht in einem der vielen Tempel verbringen kann. Wem Chengdu zu langweilig wird, der bucht einfach den nächstbesten Flieger und ist in drei Stunden in Peking, Shanghai oder Hongkong.
Chengdu ist ideal für China-Einsteiger. Die Stadt ist entspannter als die Hotspots an der Küste und bietet dennoch ein einzigartiges Flair, überfüllte U-Bahnen, Pandas, scharfe Hotpots und einen nahezu lebensgefährlichen Straßenverkehr inklusive. Doch wenn ich mit dem City-Bike durch die begrünten Seitenstraßen düse, eine warme Sojamilch und ein Baozi (gefüllte Teigtaschen) fix am Straßenrand kaufe und sich dann vielleicht sogar noch ein Stück blauer Himmel zeigt, dann kann ich mich hier wirklich nicht beklagen.
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Auslandsgruß von Laura Ritter, November 2018
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